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Pilotprojekt in St. Pauli mindert Konflikte rund ums Nachtleben
Hamburg ohne Nachtleben? Undenkbar – und doch steht die Nachtkultur immer wieder unter Druck. Clubs, Livemusik, Bars und Kulturevents sind nicht nur ein Magnet für Besucherinnen, sondern prägen auch Hamburgs DNA als kreative und weltoffene Stadt. Gleichzeitig entstehen Konflikte zwischen Anwohnerinnen, Veranstalter:innen, Verwaltung und Politik.
Aus diesem Grund hat die Bezirksamtsversammlung Hamburg-Mitte im Jahr 2024 eine neue Stelle initiiert: Ein Nachtbeauftragter (auch „Nachtbürgermeister“ genannt) vermittelt ab sofort zwischen den Interessensgruppen und bemüht sich um Konfliktlösung – für ein harmonisches Zusammenleben im Stadtteil.
In unserem Web-Talk Stadtkantine im September 2025 gab uns St. Paulis neuer Nachtbeauftragter Sascha Bartz Einblicke in seine Arbeit. Hier berichten wir über die Hintergründe und Lessons Learned dieses Pilotprojekts in Hamburg.
Erfolgsprojekt für: Innenstadtentwicklung
Präsentiert von: Die Stadtkantine
Vorgestellt von: Sascha Bartz, Nachtbeauftragter St. Pauli
Keyfacts zum Projekt:
- Pilotprojekt in Hamburg – seit 2024
- Nachtbeauftragter für St. Pauli als Vermittler zwischen Anwohnenden und Nachtwirtschaft
- Initiator: Bezirksversammlung Hamburg-Mitte
Zwischen Beats und Beschwerden: Aufgaben eines Nachtbeauftragten
St. Pauli ist der Inbegriff von Nachtkultur: In mehr als 120 Bars und 22 Clubs feiern Menschen nahezu täglich zwischen Reeperbahn und Elbe. Zugleich ist der Stadtteil ein zentrales Wohnquartier in Hamburg-Mitte. Rund 22.400 Menschen wohnen, schlafen und leben hier, darunter knapp 2.900 Kinder und 2.400 Senioren (Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Stand 2024).
Hinzu kommen mehr als 16 Millionen Hamburg-Besucher:innen pro Jahr, von denen sich viele das Kult-Nachtleben rund um die Reeperbahn nicht entgehen lassen. Das macht St. Pauli zu einem dicht besiedelter und stark belebten Ort – bester Nährboden für viel Kultur, aber auch viele Konflikte. Auch unsere Kollegin Julia Staron, die selbst in St. Pauli lebt, berichtet hier im Blog ausführlich über die Chancen und Herausforderungen der Nachtökonomie.
Wie also kann ein Nachtbeauftragter helfen? Um das zu verstehen, haben wir Sascha Bartz in unseren Web-Talk Stadtkantine eingeladen. Er ist seit 2024 Nachtbeauftragter in Hamburg St. Pauli und berichtete uns von seinem großen und vielfältigen Aufgabenbereich: Als neutraler Ansprechpartner vertritt er die Interessen von Anwohner:innen, Partygästen und Gewerbetreibenden und dient als Sprachrohr in Richtung Verwaltung und Politik.
Zentrales Ziel des Pilotprojekts in Hamburg St. Pauli ist es, Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu lösen. Für Sascha Bartz geht es aber auch darum, Ideen zu entwickeln, um St. Pauli als „Viertel des Nachtlebens“ zu stärken – ohne die Lebensqualität der Bewohner:innen zu beeinträchtigen.

Sascha Bartz, Experte für Quartiersentwicklung und Nachtbeauftragter in Hamburg St. Pauli
Nachtbeauftragter St. Pauli: Lessons Learned
Wir fassen die Lessons Learned aus der Stadtkantine mit Sascha Bartz im September 2025 unten für Sie zusammen.
Stadt ist, was wir gemeinsam daraus machen. Dieses Motto leben nicht nur wir von der Stadtmanufaktur, sondern alle Speaker:innen, die uns in unserem Web-Talk Stadtkantine mit ihren Erfolgsprojekten und ihrem Engagement rund um Stadttransformation, Innenstadtentwicklung und innovativer Immobiliennutzung in Innenstädten begeistern.
Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick
Rolle und Relevanz des Nachtbeauftragten
- Der Nachtbeauftragte fungiert als neutraler Vermittler zwischen Anwohner:innen, Gastronomie und Verwaltung.
- Die Position ist keine Ordnungsinstanz („Stadtteil-Sheriff“), sondern auf Dialog und Deeskalation ausgelegt.
- Die Einführung solcher Rollen kann in verdichteten Stadtquartieren strukturell zur Standortqualität beitragen, insbesondere im Kontext der Nachtökonomie.
Ansatz der Konfliktlösung
- Niedrigschwellige Kommunikation auf Augenhöhe ist essenziell – persönliche Gespräche vor Ort statt formeller Verfahren.
- Auch langjährig ansässige Bewohner:innen sind häufig Beschwerdeführende – es geht nicht um neue vs. alte Bevölkerung.
- Der Schlüssel: beide Seiten ernst nehmen, vermitteln und gemeinsam tragfähige Lösungen suchen.
„Auf engstem Raum feiern, wohnen und arbeiten hier seit Jahrzehnten Menschen. Das lebendige Nachtleben und zahlreiche Events ziehen viele Besucher*innen an. Dies bringt Probleme mit sich: Lärm, Müll und überlastete Infrastruktur, um nur einige zu nennen. (…) Der Nachtbeauftragte ist da, um das Miteinander zu stärken und den Dialog zu fördern. Er bringt Anwohner*innen, Gewerbetreibende und Besucher*innen zusammen, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und gemeinsam Lösungen zu finden.“
Zahlen und Wirkung
- In nur 14 Monaten wurden über 800 Beschwerden bearbeitet.
- In rund 60 Fällen gab es wiederkehrende Konflikte – jedoch nur ein Fall mit tatsächlichen Konsequenzen.
- Der persönliche, vertrauensbildende Ansatz hat weitreichende Wirkung gezeigt und verhärtete Fronten aufgelöst.
Veränderte Rahmenbedingungen
- Neue Betreiberstrukturen in der Gastronomie: weniger lokale Identifikation, mehr wirtschaftliche Interessen.
- Verlagerung der Gastronomie in Nebenstraßen führt zu neuen Belastungen in klassischen Wohngebieten.
- Rechtliche Hürden: Der geltende Bebauungsplan klassifiziert bis zu 90 % des Gebiets als Wohngebiet – dies kollidiert mit der gelebten Realität einer gemischten Nutzung.
Kooperationsformate und Netzwerkbildung
- Aufbau eines Stammtisches für Nachtökonomie (Start: Oktober 2025 im nördlichen St. Pauli).
- Wiederauflage der Plakatkampagne „Leiser is Nicer“ als Kommunikationsmaßnahme nach innen und außen.
- Netzwerkpflege, Stakeholderdialog und Einbindung von Verwaltung und Politik durch eine begleitende Lenkungsgruppe.
Ein Vorbild für andere Städte?
Das Modell „Nachtbeauftragte“ hat großes Potenzial zur Nachahmung in anderen Städten. Allerdings ist die Situation in St. Pauli einzigartig. Das bedeutet: Je nach Stadt und Stadtteil müssen die Aufgabenbereiche und Ziele angepasst werden.
Außerdem zeigt das Projekt in Hamburg St. Pauli: Die Einbindung von lokalen Akteur:innen und die Berücksichtigung spezifischer Bebauungs-, Eigentümer- und Sozialstrukturen ist wesentlich für den Erfolg. Ein extra Plus: Mit Sascha Bartz hat St. Pauli einen Nachtbeauftragten gefunden, der schon seit mehr als 20 Jahren im Bereich Quartiersentwicklung und Bürgerbeteiligung aktiv ist – und den Stadtteil innig kennt.

Sybille Fischer
entwickelt Narrative, Konzepte und Kommunikation für Städte. Folgerichtig koordiniert sie auch die Inhalte auf stadtmanufaktur.com